Posted by on Okt 8, 2014 in PRESSESPIEGEL |

Feuilleton, 30.09.2014

Film- und Fernsehbranche

Gebt uns die Hälfte!

Von Susan Vahabzadeh

Ein Stereotyp entsteht nicht im Einzelfall, sondern immer nur durch die Masse. Es ist kein Problem, dass es Filme gibt, in denen Frauen kaum oder gar nicht vorkommen, überwiegend der Dekoration dienen oder nur in untergeordneten Jobs gezeigt werden. Das Problem ist, dass das Frauenbild des Kinos mehrheitlich an der Realität vorbeigeht. Dies belegt eine der ersten internationalen Studien zum Thema, erhoben von der University of California mit Unterstützung der Vereinten Nationen und in der vergangenen Woche vorgestellt. Dass das Kino Frauen so unrealistisch darstellt, meinen die Autoren der Studie, liege auch daran, dass Filme nur selten von Frauen inszeniert werden.

Die Studie muss der neuen Initiative „Pro Quote Regie“ wie gerufen kommen. 180 deutsche Regisseurinnen haben sich da zusammengetan, getrieben von einem fundamentalen Problem: Zwar sind 42 Prozent der Absolventen deutscher Filmhochschulen Frauen – die Jobs in Kino und Fernsehen haben dann, ein paar Jahre später, aber nur noch zu 15 Prozent Frauen. Grund genug, Veränderungen zu fordern – und zunächst einmal vor allem für eine Debatte zu sorgen. Der Aufruf fordert eine umfassende Studie und eine Quote – 30 Prozent in drei Jahren, 42 Prozent in fünf Jahren, die Hälfte in zehn Jahren. Das mag unrealistisch sein, aber irgendwo muss man ja mal anfangen.

Auch Fördergremien sollen zur Hälfte mit Frauen besetzt sein. Warum ist das nicht längst so?

Die dritte Forderung ist eigentlich die überraschendste: Pro Quote Regie verlangt, dass die Gremien, die Fördergelder aus Steuertöpfen vergeben, mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt sein müssen. Da sollte man eigentlich meinen, dass das längst so wäre. Aber es gibt keine entsprechende Regelung.

Nur 15 Prozent Regisseurinnen, obwohl in der Ausbildung, wie in vielen anderen Bereichen auch, noch Gleichberechtigung herrscht – Zahlen sagen natürlich wenig darüber aus, wie eine solche Situation zustande kommt. Die Studie, die Pro Quote Regie anstoßen will, soll genau das aufklären – und nicht nur nach dem Was, sondern vor allem nach dem Warum fragen. „Auf die Frage, wie man die Schieflage ändern kann, geben die Zahlen keine Antwort“, sagt die Regisseurin Esther Gronenborn („Hinter Kaifeck“).

Es geht dabei nicht nur um die Verteilung von Geld, auch um die Verteilung von Sichtweisen: 85 Prozent männliche Regisseure – das bedeutet, dass diese mit ihrer Perspektive mühelos dominieren. „Sollen wirklich möglichst viele einschalten bzw. zuschauen, aber möglichst wenige mitmachen?“, fragt der Aufruf. „Bei den Fernsehfilmen auf den Primetime-Sendeplätzen der ARD führten in den Jahren 2010 bis 2013 nur in 7,5 Prozent der Fälle Frauen Regie“, sagt Bettina Schoeller. „Das ist zu wenig Pluralität in einem meinungsbildenden Programm. Braucht die Demokratie nicht Vielfalt?“ Schoeller, die selbst als Regisseurin fürs Fernsehen arbeitet und sich bei Pro Quote Regie engagiert, gibt die Antwort gleich selbst: „Wenn ein Großteil der Bevölkerung da nicht vorkommt, geht das am Rundfunkauftrag eigentlich vorbei.“

Bei Pro Quote Regie machen auch die wenigen weiblichen Regie-Schwergewichte mit, die der deutsche Film hervorgebracht hat – Caroline Link und Doris Dörrie beispielsweise, Margarethe von Trotta und Sandra Nettelbeck. Seit ein paar Tagen holt sich die Gruppe auch Unterstützung von Leuten, die nicht selbst betroffen sind – den Aufruf unterzeichnet haben auch Dieter Kosslick und Veronika Ferres, Stefan Arndt und Volker Schlöndorff. „Das ist kein Kampf von Frauen gegen Männer, Frauen sind auch nicht die besseren Menschen“, findet Schoeller. „An Gleichberechtigung sollten alle interessiert sein.“

Auf uneingeschränkte Gegenliebe trifft das Projekt nicht. Quotengegner gibt es genug, dessen ist sich Schoeller sicher: „Jetzt wird es heißen: So, jetzt ist die Quotendebatte auch im Kulturbereich angekommen, wo doch künstlerische Freiheit und Genie zählen sollten. Im vergangenen Jahr sind 82 ,Tatorte‘ gedreht worden – drei davon von Frauen. Aber die ,Tatorte‘ sind in ihrer Qualität äußerst unterschiedlich. Künstlerische Freiheit gibt es im übrigen für die, die nicht mitmachen dürfen, gar nicht erst.“

Mal ganz abgesehen davon, dass diese Zahlen ja für den gesamten Fernsehbereich gelten – und was da nachmittags läuft, ist nun wirklich von allen Geniegedanken frei. Würden Frauen das wirklich schlechter machen? Aber auch, was die Kunst betrifft, kann Schoeller nicht glauben, dass alles mit rechten Dingen zugeht: „Auch da muss man sich die Frage stellen: Wie kommt es zustande, dass die Förderquote für Frauen so gering ist, und warum haben sie dann meistens auch noch geringere Budgets?“

Pro Quote Regie wird dazu im November noch genauere Zahlen vorstellen, aber bislang argumentiert die Initiative beispielsweise mit den Entscheidungen des Deutschen Filmförderfonds: 62 Millionen Euro hat diese Institution des Bunds 2013 vergeben, an 115 Filmprojekte. Nur 13 davon wurden von Frauen inszeniert, bei drei weiteren gab es eine Co-Regisseurin, so gingen an die weiblichen Filmemacher insgesamt sechs Millionen Euro.

Man kann das auch bei anderen Förder-Einrichtungen nachvollziehen. Die Filmförderungsanstalt FFA hat ihre Entscheidungen bis Anfang September dieses Jahres veröffentlicht, 36 Projekte werden gefördert, davon sollen immerhin elf von einer Regisseurin inszeniert werden. Rechnet man die Fördersummen zusammen und bestimmt den Durchschnitt, so werden die Projekte der Frauen mit sehr viel weniger Geld gefördert – im Schnitt mit etwa 20 Prozent weniger als die Filme, bei denen Männer Regie führen. Das ist übrigens keineswegs ein deutsches Phänomen: Das Sundance Institute hat in den USA eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie in Auftrag gegeben, bei der herauskam, dass ein großer Teil der amerikanischen Regisseurinnen nicht im reichen Studiosystem arbeitet, sondern im finanziell schlecht ausgestatteten Independent-Kino. Machen Frauen billigere Filme?

Einen möglichen Grund für die ungleiche Verteilung der Gelder nennt Esther Gronenborn, die auch selbst schon in Fördergremien mitgearbeitet hat: Für viele Frauen sei es schwer, eine berufliche Kontinuität herzustellen. Das hat zur Folge, dass sie sich seltener einen Namen machen können – oft eine Grundvoraussetzung dafür, dass sich ein Projekt durchsetzt. Eine Regisseurin reicht außerdem nicht alleine ein – vorher braucht sie erst einmal eine Produktionsfirma. „Es ist nicht mal böse gemeint, wenn einem Produzenten oder einer Produzentin dann nicht sofort eine Frau als mögliche Regie-Kandidatin einfällt – die haben auch zu kämpfen und setzen auf die Leute, die Erfolg versprechen.“ Weil sie schon viel gemacht haben.

Wie auch immer: Letztlich ist es jedenfalls so, dass bei allen Gremien auch sehr viel weniger Projekte von Frauen eingereicht werden. Damit sind die Regisseurinnen in einem Teufelskreis, den nur eine Quote durchbrechen kann. Weil dann Produzenten vielleicht auch mit Frauen zusammenarbeiten, deren Namen ihnen nicht sofort in den Sinn kommen. „Ich glaube, sogar Frauen in Entscheidungspositionen nehmen das oft gar nicht wahr, dass es so läuft“, sagt Gronenborn.

Dass man mit Vorgaben durchaus etwas verändern kann, erkennt man an der gezielten Förderung von Regiedebüts, die es in Deutschland seit einigen Jahren gibt – es ist dadurch wesentlich leichter für junge Filmemacher geworden, ihren ersten Film durchzubekommen. „Wenn das vorbei ist, wird es aber schwer“, sagt Esther Gronenborn, „das gilt für Frauen wie Männer.“ Trotzdem kommen eindeutig mehr Männer durch als Frauen.

Namhafte Filmemacherinnen? Prominenz kann man nicht per Quote verordnen
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Natürlich bleiben schon nach der Ausbildung nicht alle dabei, das gilt für Männer genauso wie für Frauen. Bei Frauen kommt noch hinzu, dass manche kürzer treten, weil sie Kinder haben – aber erstens ist die Differenz ja viel zu groß, um sie allein mit Mutterschaft zu erklären, und zweitens kommen die Arbeitszeiten Frauen eher entgegen. Gronenborn: „Man ist ja nicht an Bürozeiten gebunden, man kann viel zu Hause arbeiten, und man kann sich die Zeit einteilen – die einzige Zeit, in der man wirklich eingespannt ist, ist ja der tatsächliche Dreh. Und das ist die kürzeste Zeit innerhalb der Filmherstellung insgesamt.“

Es muss also andere Gründe geben, die Frauen aus der Regie fernhalten – und es gibt sie, scheint es, überall. Wie sieht es in Frankreich aus, dem Kinoland schlechthin? Es mag dort um den Film insgesamt besser bestellt sein, aber nicht um seine Macherinnen. Da gibt es schon eine Studie, wie Pro Quote Regie sie sich für Deutschland wünscht, und die sieht ernüchternd aus: Auch dort machen die Frauen in der Regie nur 23 Prozent aus, Tendenz nicht steigend. Und in den USA beispielsweise sind sogar nur 13 Prozent der Regisseure weiblich. Auch wenn es schwierig ist, sich vorzustellen, dass in einem Bereich, in dem es um Inhalte und Talente und künstlerische Freiheit geht, eine Quote tatsächlich durchzusetzen und durchzuhalten ist – es scheint sich von allein wenig zu ändern. Die Universität von San Diego analysiert seit 17 Jahren den Anteil von Frauen im Fernsehprogramm – sowohl die Verteilung weiblicher Charaktere als auch die Jobs hinter der Kamera. Die Zahlen, die aktuellsten wurden unlängst veröffentlicht, stagnieren seit fünf Jahren.

Man kann es drehen und wenden wie man will, es ist auch im Kino so, wie es schon vor zehn oder zwanzig Jahren war: Namhafte Filmemacherinnen gibt es nur ein paar. Man kann Prominenz nicht verordnen. Aber wenn auf dem Weg dorthin nicht nur Steine lägen, wäre das schon mal einmal ein Anfang.

Susan Vahabzadeh
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Susan Vahabzadeh, geboren in Düsseldorf, ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule in München. Seit 1997 arbeitet sie als Filmkritikerin im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.